(Fast) Alltäglich

Sonntag, 9. Dezember 2007

Der ganz alltägliche vorweihnachtliche Horror.

Der Dezember ist da und ich habe, wie einige vielleicht bemerkt haben, aus verschiedenen Gründen einfach sowas von keine Lust auf Weihnachtsstimmung, dass man daraus eigentlich schon wieder eine eigene Story machen müsste. Also habe ich mich entschlossen, dem geneigten Leser meinen diesjährigen (nicht meinen generellen, das bitte ich zu berücksichtigen) Eindruck eines typischen Tages in der (Vor-) Weihnachtszeit zu schildern:

7:22 Uhr.
Der Wecker klingelt. Aufstehen, frieren, in die Latschen schlüpfen. Merken dass es saukalt ist, kräftig husten und erschöpft zurück ins Bett fallen, anschließend wieder aufrappeln (dies sooft wiederholen, wie es die jeweiligen Gegenbenheiten erfordern).

7:30 Uhr.
Waschen (warmes Wasser gibt's erst ab halb 9), Zähneputzen. Dabei: Frieren nicht vergessen (Nachtabsenkung der Heizung wurde vom Hausmeister nicht umgestellt; endet daher erst gegen 9 Uhr).

7:45 Uhr.
Frühstücken, dabei das Radio anschalten. Es läuft eine heterosexuelle Rerereinkarnation von Wham! mit einer Coverversion einer Coverversion einer Coverversion von Last Christmas. Radio panikartig ausschalten.

8:00 Uhr.
Haus verlassen. Feststellen, dass 1.) kein schön stimmungsvoll winterlicher Schnee liegt, das jedoch 2.) den niedrigen Temperaturen nicht eine Spur von Mäßigung abnötigt weshalb es 3.) natürlich arschwindig und ebenso kalt bei gefühlten -20° ist. (Wer wissen will, wie sich reale -20° anfühlen, möge das in den ebenso unterhaltsamen wie ehrfurchtgebietenden Beiträgen im Minnesota-Blog von Holle nachlesen!)

8:30 bis 12:30 Uhr.
Programmieren im Praktikum. Gebäude ist mit Leuchtgirlanden verziert, die blinken - eine davon vor meinem Fenster. Zusammen mit meiner Konzentration muss auch die Tastatur leiden, vor allem BACKSPACE.
Im Gang kommt mir ein zweiter Praktikant entgegen, den ich bis dato noch nicht gesehen habe. Er summt Last Christmas. Nehme mir vor, nicht mehr um diese Zeit auf den Gang zu gehen.

12:30 bis 13:00 Uhr.
Mittagspause. Das Mensafoyer ist weihnachtlich geschmückt; ich stoße mir den Kopf an einem über dem Aufgang hängenden Plastik-Nikolaus. Der Speiseplan wurde ebenfalls festlicher gestaltet: Es gibt Milchreis mit Kirschen und Zimt, Hühnchen in Orangen-Zimtsauce und ein Gericht, bei dem ein winziges Stück knochenharter Stollen sowie zwei kohlenartige Zimtplätzchen im Preis inbegriffen sind. Mag keinen Zimt; entscheide mich für das sog. Alterntivgericht: Gedünstete Kohlrabi in Bärlauchsauce.

12:50 bis 13:10 Uhr.
Kotzen.

13:30 bis 16:30 Uhr.
Weiterarbeiten im stimmungsvollen Dauerfeuer der Girlandenkerzen. Verlasse mit leichten Symptomen einer fokalen Epilepsie den Raum und begegne erneut dem neuen Praktikanten. Er summt immernoch. Schlimmer: Er fragt, ob mir dieses Weihnachtslied von George Michael auch nicht mehr aus dem Kopf geht. Ich bejahe wahrheitsgemäß und wortreich im Sinne einer Reminiszenz an Klaus Kinski.
Wenig später arbeitet besagter Zeitgenosse am Messstand neben mir an einer längeren Reihe von Aufnahmen.

14:46 bis 15:08 Uhr.
Unauffälliges Entsorgen des mit einer Branddecke getarnten Körpers des bewusstlosen Mitpraktikanten unter Benutzung der Sackkarre für Gasflaschen. Bilde mir ein, ihn immernoch summen zu hören, verzichte aber auf ein Fixieren der Decke mittels Klebeband.

17:10 Uhr.
Zuhause. Einschalten des Fernsehers, "Holidays are coming" prädiktiert nahende Ferien. Der Coca Cola Konzern demonstriert in einem gefühlvollen Werbespot sein unermüdliches Engagement für Weltfrieden, Rassengleichheit und persönliches Glück aller Konsumenten. Angewidertes Ausschalten des Fernsehers.

17:50 bis 19:00 Uhr.
Abendessen zubereiten. Aus Angst davor, im Supermarkt Last Christmas zu hören, benutze ich nur Vorräte, die schon im Haus sind.

19:08 Uhr.
Nach Geruchs- und mit größter Vorsicht entnommener Geschmacksprobe: Negativer Befund in Sachen Genießbarkeit für das Haferflocken-Senf Omelett. Es folgt meinem Mageninhalt (Reste von Mittagessen und Frühstück) auf dem Weg ins nächste Klärwerk.

20:59 Uhr.
Der Pizzabote klingelt. Eine Pizza mit Schinken und extra Käse bestellt zu haben, kann ich mich trotz der seither vergangenen knapp 2 Stunden noch dunkel erinnern. Aus meinem Gesichtsausdruck muss der offensichtlich zur Aushilfe angestellte junge Mann die zutreffende Einschätzung abgeleitet haben, sich in akuter Lebensgefahr zu befinden. Nach zügiger Bezahlung und einer im Gehen genuschelten Entschuldigung hinsichtlich Weihnachtsstress beim Pizzadienst kann ich dennoch nun endlich eine angenehm kühle Anchovis-Pizza mit Spinat genießen.

22:45 Uhr.
Feststellen, dass die Heizung sich abgeschaltet hat. Emails lesen und dabei ca. 4000 Weihnachts-Sonderangebote löschen, anschließend zu Bett gehen.

Bald nun ist Weihnachten,
wie ich mich freu!
Dann ist der ganze Scheiß
endlich vorbei...

Sonntag, 11. November 2007

Kunst am Campus.

Ortsansässige werden es bereits bemerkt haben: Unlängst wurde ein nicht unwesentlicher Anteil der vielen, vielen Fördermillionen des Landes, über die unsere ohnehin schon wunderschöne Uni verfügt, in ein Projekt investiert, das von dringenderer Notwendigkeit kaum hätte sein können.
Ganz recht: Es handelt sich um die Verschönerung des Campusgeländes! Denn nichts liegt der Universitätsleitung so sehr am Herzen, wie die ästhetische Prägung ihrer feinsinnigen Studentenschaft. Im Geiste der humanistischen Hochschulausbildung wurde dann auch alsbald zur Tat geschritten, und mitweilen ist der Bau zweier ästhetisch anspruchsvoller Schätze moderner dekorativer Architektur zu einer erkennbaren Reife gelangt.

Der Stein der Greisen Weisen.

SprudelbrunnenAuf dem Ehrenbergcampus steht ein schwarzer Stein. Zwar ist er nicht Ziel tausender Pilger, die ihn umrunden wollen, wurde nicht von Außerirdischen geschickt, um die Entwicklung der Menschheit zu beeinflussen und weist noch nichtmal irgendwelche mystischen Inschriften auf, aber immerhin sprudelt Wasser heraus. Manche nennen's Kunst, doch für die meisten ist es Bauschutt.

Das Denkmal des toten Androiden.

CampusschrottUrsprünglich der Prototyp einer Zeitmaschine, mit der Wissenschaftler der TU-Ilmenau ins 3. Jahrhundert nach Christus reisen wollten, um dort die Geburt von Dieter Bohlen zu verhindern. Jedoch ist dieses unschätzbar wertvolle Stück Metall nun wegen kurzfristiger Drittmittelverknappung vorerst auf Eis und - der Kunstliebhaber wird es danken - als Campusdeko auf den Kirchhoffplatz gelegt worden. So zumindest eine der zahlreichen Theorien zu dem abgebildeten Schrotthaufen.
Eine andere besagt, dass es sich dabei um übriggebliebene Teile der Internationalen Raumstation handelt, die von deren Bauherren achtlos auf die Erde geworfen wurden und nach ihrer ... Landung, bei der sie eine wassergefüllte Schneise vor dem Humboldtbau in Ilmenau hinterließen, zu eben jenem Klumpen verschmolzen sind, der dort noch heute prangt (und nur noch ein wenig poliert werden musste). Welche dieser Thesen für wahrscheinlicher zu erachten ist, bleibt dabei dem verwirrten Geiste des Betrachters überlassen...

Mittwoch, 5. September 2007

(III) Das Rasenmäher-Ultimatum.

(Dies ist der dritte und letzte Teil einer Fortsetzungsgeschichte, die ich ab jetzt den „Rasenmäher-Zyklus“ nenne, und die unangenehmerweise auf wahren Begebenheiten basiert. Jene Leser, die die ersten beiden Teile gelesen haben und nun tatsächlich noch wissen möchten, wie es weitergeht, finden hier den letzten Text. Alle Ahnungslosen jedoch, die bisher verschont geblieben sind: Hier gibt es Teil 1 und Teil 2.)

Kurz nach 12:30 Uhr. Celso erreicht unter Einsatz sämtlicher physischer Ressourcen, die ihm seine wabernde Hirnmasse noch zur Verfügung stellt, das aufgrund seines an ein asymmetrisches Achteck erinnernden Grundrisses als Octogon bezeichnete Gebäude, dessen Erd- und Untergeschoss die Bibliothek beherbergt. Als er vor dem Eintreten nach seiner Brieftasche sucht, meint er sich plötzlich zu erinnern, sie dummerweise beim fluchtartigen Verlassen des Wohnheims nach einem Gemeindearbeiter geworfen zu haben. Glücklicherweise kommt jedoch relativ schnell die Erkenntnis, dass die Brieftasche zum einen – wie üblich – in seiner linken Gesäßtasche, zum anderen momentan gar nicht vonnöten ist. Letzteres entnimmt er dem selbstbewussten Auftreten einer Studentin, die unmittelbar vor ihm den Eingang zum Lesesaal passiert, ohne eine Münze in den dort befindlichen Schlitz zu werfen, der sich bei näherer Betrachtung als Türschloss entpuppt. Um also dem bereits durch die eingehende Inspektion der Saaltür erregten Misstrauen des unmittelbar dahinter sitzenden Tresenpersonals nicht weiteren Vorschub zu leisten, betritt Celso so selbstverständlich wie möglich die Bibliothek und geht nach einem möglichst beiläufig gemurmelten „Tag“ dazu über, sich nach einer geeigneten der ersten sich bietenden Sitzgelegenheit umzuschauen.

13:29 Uhr. Nach kurzer Suche ist Celso auf einen Tisch gestoßen (zuerst mit dem rechten Knie, dann mit dem entsprechenden Auge), der unmittelbar an der Eingangstür und damit, den strengen Blicken zweier paranoider Tresendamen sowie der unvermeidlichen Geräuschkulisse ständig ein- und ausgehender Bibliotheksnutzer ausgesetzt, dankenswerter Weise nicht durch lernende Köpfe samt zugehöriger Studenten besetzt ist. Eines der wenigen Fenster dieses auf Erdgeschosshöhe liegenden Teils der Bibliothek begünstigt zudem, angekippterweise, einen nicht unangenehmen Sauerstoffstrom. Er lässt sich also nieder und legt Federmappe, Taschenrechner, Skript und Schreibblock vor sich auf den Tisch (er war zuvor kurz der unheilvollen Befürchtung aufgesessen, letzteren anstelle der Brieftasche nach den Rasenterroristen am Wohnblock geworfen zu haben, hatte dann aber nach kurzer Inventur seiner aktuell mitgeführten Gegenstände auf der Auslegeware hinter den Monografien zur Metallbearbeitung das gesuchte Utensil mit einiger Erleichterung entdeckt). Trotz der erwähnten Geräuschkulisse und Blicken, die wie die Laser zweier Scharfschützengewehre auf seinen Hinterkopf gerichtet sind, schafft Celso es, der typischen Mischung aus strenger Ruhe und dem Rauschen vieler im Flüsterton geführten Unterhaltungen an anderen Tischen ein nicht unerhebliches Maß an Selbstfindung und innerer Einkehr abzutrotzen. Gegen 13:40 Uhr beginnt er frischen Mutes, sich erneut am Stoff der anstehenden Klausur zu schaffen zu machen.

Punkt 14:00 Uhr beendet Vorarbeiter Harald Bliskowski die seit 12:30 Uhr andauernde Mittagspause der ABM-Gruppe Campusbepflanzung. Er weist die gelernte Floristin Annette Linkewitz an, sich mit ihrem Team dem wuchernden Unkraut in den vor der Mensa aufgestellten und kunstvoll in Waschbeton eingeschalten Blumenrabatten zu widmen. Er selbst ruft kurz aber lautstark seine fünf eigenen Leute zusammen, lässt sie „ganz schnell austrinken“ und gibt dann bekannt, dass „als näch'ses für heut' noch so'n Rasen am Parkplatz vom“, er schaut kurz auf einen verknickten Zettel, „Optogonn oder so zu mach'n is.“ Die Männer greifen nacheinander zu ihren Helmen, Ohrenschützern und Motortrimmern...

14:30 Uhr. Der schmale Luftspalt des Fensters, unter dem Celso mittlerweile wieder konzentriert arbeitet, gibt sein Bestes für einen möglichst fortlaufenden und zügigen Austausch von Atmosphäre mit der Außenwelt. 14:31 Uhr greift Bliskowski nach der Anlasserschnur seines Rasenmähers. Zuvor jedoch brüllt er seinem Kollegen zu, der bereits im Begriff ist, dasselbe vor dem anderen Erdgeschossfenster zu tun: „Unn' mach hin Gert, mer sinn schon einglich zu speht für heut'!“
Celso hört diese Worte, die offenbar von jenseits seines tapferen Fensterspalts kommen, und blickt irritiert auf. Doch sollte es ihm nicht mehr gelingen, sowohl die scheinbar bekannte Stimme als auch den Inhalt der Aussage einzuordnen...

14:50 Uhr. Es ist Nachmittag in der Universitätsbibliothek, doch die Atmosphäre des angestrengten Studierens ist ungebrochen. Hier und da sitzen, über unzählige winzige Einzel- und riesige Gruppentische verstreut, Kommillitonen bei der Arbeit. Nur von fern klingt monoton das Summen der... Rasenmäher. Niemand scheint es wahrzunehmen, niemanden scheint es wirklich zu stören. Niemand sitzt an einem der Fensterplätze. Wirklich, niemand.

Mittwoch, 25. Juli 2007

(II) Die Rasenmäher-Verschwörung.

(Dies ist der zweite Teil einer Fortsetzunggeschichte, basierend auf wahren Begebenheiten. Alle, die nicht wissen worum's geht, mögen bitte zunächst Teil 1 lesen.)

8:45 Uhr des Morgens. Celso hat sich gerade angezogen und, dank einer psychiatrisch relevanten Dosis Koffeins, in einen einigermaßen wahrnehmungsbefördernden Vigilanzzustand versetzt. Optimale Bedingungen, um der System- und Steuerungstheorie auf die Pelle zu rücken, wäre da nicht...

...dieses Geräusch. Celso schaut aus dem Fenster - zum zweiten mal an diesem unseligen Morgen, und zum zweiten mal verheißt es nichts Gutes. Denn die Trimmwerkzeuge, die sich mittels gelangweilter Zweibeiner in blauen Latzhosen über den Rasen bewegen, haben in den vergangenen 75 Minuten höchstens 5 mm Gras von dessen jeweiligem Halm getrennt. Anscheinend arbeiten die gelb behelmten Gemeindebeauftragten entweder sehr schlampig daran, sauerstoffarme Rasenabschnitte durch den Windzug der Mähmaschinen zu belüften, oder sehr penibel daran, dem in Gartenbaukreisen weithin gefürchteten Grasspliss durch Schneiden der äußersten Spitzen beizukommen.
Wie dem auch sei: Celso beschließt aus naheliegenden Gründen, sein Fenster vorerst geschlossen zu halten. In der festen Überzeugung, dass allgegenwärtige Dröhnen würde mit der Zeit schon überhör- bzw. zumindest duldbar sein, und im Übrigen ja voraussichtlich nicht den ganzen Tag andauern, schlägt er Block und Vorlesungsskript vor sich auf.

10:56 Uhr. Eine imaginäre Messvorrichtung für Rasenvolumina würde offenbaren, dass die erwähnte Grünfläche je Mähmaschine und -knecht weitere 15 cm³ ihrer selbst hat einbüßen müssen, als die Stutzkolonne zum vierten mal an jenem Punkt mit Mähen beginnt, an dem sie dies vor gut drei Stunden ursprünglich getan hatte: Unter Celsos Fenster.
Jener hat indes andere Sorgen. In dem Moment, als die kurzzeitig abgeklungene Motorenkakophonie wieder ihr lokales Pegelmaximum erreicht, studiert er mit einem gewissen Unbehangen die eigentlich studentenwerkweiße Tapete seines Zimmers. Diese hat nämlich vor ca. 20 Minuten damit begonnen, unregelmäßige rote und violette Flecken auszubilden, die sich zu allem Überfluss langsam aber stetig in Richtung Decke bewegen. Außerdem scheint es bei einem Blick in die eben niedergeschriebene Gleichung, als würden zwei Ableitungspunkte sich um die Hoheit über das durch sie differenzierte Ypsilon duellieren...

11:01 Uhr. Celso beschließt, dass es dringend Zeit für die erste Portion Frischluft des Tages ist. Zögernd aber innerlich angetrieben von dem Wunsch, seine inzwischen unvorhersehbar schwankenden Möbel anzuhalten, öffnet er das Fenster.

Augenblicklich wird das seit mehreren Stunden anwesende Röhren in seinem Schädel zu einem Fauchen, das mühelos der Initialzündung einer Orbitalrakete Konkurrenz machen könnte. Die Enscheidung, den restlichen Lerntag in der Bibliothek zu verbringen, sobald die durch plötzliche Zuführung eines Sauerstoff-Mäherdiesel-Gemischs bedingten Ohnmachtsanfälle abgeklungen sind, fällt daher leicht.

Fortsetzung folgt...

Teil 3:
Das Rasenmäher-Ultimatum

Samstag, 21. Juli 2007

(I) Nacht-und-Nebel Bepflanzungspflege.

In der vergangenen Woche verbrachten einige der Ilmenauer Studenten einen Gutteil ihrer Zeit in der Bibliothek. In Anbetracht brütender Hitze auf der einen und ultimativ näherrückender Prüfungstermine auf der anderen Seite gingen jene pflichtbewussten Nachwuchs-Akademiker ihrem lernenden, lesenden, diskutierenden oder einfach nur vor sich hin transpirierendem Tagwerk nach.
Und an einem kleinen Einzeltisch in der hintersten Ecke des Lesesaals, zwischen der Archivabteilung für Werkstoffkunde und dem Präsenzbestand der Kommunikationswissenschaftler, inmitten von Regalreihen voller bibliophiler Schätze wie der "Geschichte der Korrosion" und der "Conversationsencyklopädie von Doctor Karl Gustav Neyfriem in dreiuntfünftzig Bänden", sitzt Celso.

Mit unstetem Blick und eingefallenen, übernächtigten Augen schaut der blasse Student immer wieder ruckartig auf, nur um festzustellen, dass ihm seine überstrapazierten Sinne mit der Illusion einer bloß aus den Augenwinkeln wahrnehmbaren Bewegung wieder einmal einen Streich gespielt hatten. Nervös tippt er, wenn er gerade nicht krakelige Formeln auf seine karierten Blockseiten schmiert, wieder und wieder mit dem hinteren Ende seines Stiftes auf das Papier. Ein Besucher oder Student, der sich in diesen Teil der Biliothek verirrt hätte, würde ihn wahrscheinlich als gescheiterten Freak abtun und tunlichst die Abkürzung zwischen der modernen Wissenschaftstheorie und den Schränken des mathematischen Archivs nehmen, um dem in mentaler wie thermischer Hinsicht unangenehmen Klima zu entkommen.

Was aber hat den sonst so geselligen und redseligen Celso, der normalerweise in kleinen Grüppchen von zwei bis drei Personen Lernstoff in entspannter Atmosphäre bei einem Tee durchzugehen pflegt, zu seiner Eremitage in der schlecht klimatisierten Bibliothek veranlasst? Die Antwort auf diese Frage liefert eine traurige Geschichte, die Ihren Ausgang am Morgen des vorigen Tages nimmt.

Genauer gesagt: Kurz vor 7:30 Uhr. Während an der Universität bereits erste Hörsäle damit beginnen, verängstigte Studenten für die ersten Prüfung des Tages zu verschlingen, schlummert Celso in seinem Bettchen wohlbehütet und durchaus verdient in Vorbereitung eines produktiven Lerntages. Der Spalt seines angekippten Fensters befindet sich geschätzte 110 cm Luftlinie von seinem linken Ohr entfernt.

Punkt 7:30 Uhr bricht Armageddon los.

Ohrenbetäubendes Getöse hüllt den Wohnblock, die Stadt und die gesamte nördliche Hemisphäre ein, marterndes Krächzen und Stottern anlaufender Höllenmaschinerie bohrt sich in die Eingeweide und der schwelende Geruch brennenden Pechs sticht in die Nase unseres ahnungslosen Langschläfers. Unbeholfen torkelt Celso auf die Beine und zum Fenster, um dort eines bizarren Anblicks gewahr zu werden: Fleischgewordene Dämonen tummeln sich auf der kleinen Grünfläche, die direkt unter seinem Fenster liegt, und stoßen unartikulierte, animalische Laute aus. Sie sind mit langen Stangen bewaffnet, an denen schreckliche, rotierende Klauen sitzen, und ihre Köpfe sind aufgeschwollene knallgelbe Eiterblasen die anstelle von Ohren dicke graue Beulen rechts und links aufweisen...

Nach einem kurzen Schock und dem Versuch einer rationalen Einordnung kommt Celso dann allerdings zu dem Schluss, dass es sich auch um Gemeindearbeiter mit Bauhelmen und Ohrenschützern handeln könnte, die sich gegenseitig Anweisungen zubrüllen, wie beim Mähen der besagten Rasenfläche zu verfahren sei.
An dieser Stelle empfindet der verstörte Student, trotz allen Ärgers ob der brutal beendeten Nachtruhe, so etwas wie Erleichterung darüber, dass es sich um ein einerseits vollkommen natürliches und andererseits vorübergehendes Phänomen handelt. Unter dem Eindruck dieser Erkenntnis schließt er, um weiteren Benzingeruch aus den kleinen Terrorinstrumenten auszusperren, das Fenster und schlurft in sein kleines Bad.

Allerdings sollte dies keineswegs das Ende seines morgendlichen Martyriums gewesen sein... Fortsetzung folgt...

Teil 2:
Die Rasenmäher-Verschwörung

Dienstag, 3. April 2007

Gedanklicher Gewindesalat.

Szene: Ein Dozent der Technischen Informatik bei einer Systemtheorie-Vorlesung.

Zuhörer: (Haben die letzten Ausführungen nicht so ganz verstanden.)

Dozent: (Beschließt, die Situtation durch anschauliche Bildsprache zu retten.)

Dozent: (gestikulierend)
Ja, da gibt es so eine anschauliche Modellkonstruktion, da (hält einen Finger parallel zur Tischkante) wird hier an der Tischkante eine Rolle befestigt, darauf (hält den Finger anders, macht damit kreisende Bewegungen) ist eine Schnur aufgewickelt, die ist an einer Achse hier (hält den Finger senkrecht auf die Tischplatte) festgemacht. Und diese Achse ist drehbar gelagert, dafür gibt es eine entsprechende Vorrichtung in der Grundplatte (zeigt unter den Tisch), so dass die Schnur sich auf- und abwickeln kann. Am oberen Ende der Achse ist eine Art T-Stück (er zeigt mit zwei Fingern ein verkipptes "V" an der entsprechenden Stelle), das ist mit einem (er kreist erneut) Gewinde aufmontiert und hat seinerseits (zerkreist mehrfach zufällige Raumluftvolumina) wieder zwei Schraubgewinde.

Zuhörer: (Starren. Ein chinesischer Kommilitone lässt sichtlich fasziniert einen Stift mehrmalig über die Fingerknöchel seiner linken Hand wirbeln. Er schaut konzentriert aus dem Fenster.)

Dozent: (weiterhin gestikulierend)
In diese seitlich (er benutzt beide Finger, um zu zeigen welche 1,6 cm³ Luft er meint) sind zwei Stäbe eingeschraubt, die beide - sagen wir - 20 cm lang sind. An deren Enden (er benutzt beide Hände, um unter Auslastung seiner Armspannweite und der Breite der Tischplatte die Fäuste in ca. 1,5 m Abstand auszustrecken) sitzen verschiebbare Gewichte.

Zuhörer: (Studieren Flyer zur Osterparty im D-Club. Ein Medienwirt stellt fest, dass er in der falschen Vorlesung sitzt. Mit der Lässigkeit eines Erdmännchens und der Trittsicherheit eines schwangeren Pinguinweibchens verlässt er den Hörsaal durch den Hintereingang.)

Dozent: (fährt ungerührt fort)
Wenn wir also jetzt an der herabhängenden Schnur ziehen (das Wort klingt, als wäre es ihm soeben durch einen göttlichen Eingriff ins Hirn gepflanzt worden), stellen wir fest (fasst mit den Fingerspitzen knapp unterhalb der Tischkante in die Luft), dass es einen erkennbaren Unterschied macht, ob wir die Gewichte in gleichem Abstand von der Mitte oder verschieden weit weg platzieren!

Zuhörer: (Begeisterung über das plötzliche Erkennen bricht hervor. Bereits während der letzten Worte hatten einige der Anwesenden vor schierer Faszination das Bewusstsein verloren, der Rest ist im Begriff zu folgen.)

Dozent: (Richtet sich aus seiner kauernden Haltung mit den gespitzten Fingern auf, lässt die Hände sinken. Drei Nebenfachler in der zweiten Reihe blicken verwirrt auf.) Ist damit jedem klar, wie die letzte Folie gemeint war?

Zuhörer: (Schweigen.)

Montag, 2. April 2007

ICQ für n00bs.

[liebes blondes Mädel] (09:23 PM) :
warum seh ich nur manchmal, was ich tippe?

celso (09:24 PM) :
musst halt mehr aufdrücken! is wie mit den durschschlägen bei paketscheinen...

[liebes blondes Mädel] (09:24 PM) :
informatiker!

Sonntag, 1. April 2007

Freud hätte es Freude gemacht.

Unlängst bekam ich eine Nachricht von einem Kommilitonen, die ich in ihrer erschütternden Nüchternheit einfach unkommentiert lassen möchte:

"Wenn du mal wieder lachen willst: Ich hab mich im Schwachsinnträumen mal wieder selbst übertroffen.

... aus irgendwelchen Gründen begab es sich, dass eine Gruppe von ca 20 älteren Dorfbewohnern auf einem Feldweg steht. Ohne große Vorwarnung krabbelt dann ein riesiges Baby diesen Feldweg entlang und die Dorfbewohner geraten in Panik.
Neben besagter Gruppe befindet sich eine ziemlich große Landmaschine, irgendwas zum Strohballen pressen oder häckseln oder so ähnlich, auf jeden Fall ein längliches Fahrzeug mit einem großen rechteckigen 'Eingang' an der Vorderseite.
In ihrer Panik beginnen die Dorfbewohner daraufhin sich gegenseitig zu falten soweit das möglich ist und sich auf das Einfüll-Transportband der Maschine zu legen. Während man die Schreie der einen hört, die gerade im Innneren der Maschine (wie auch immer und zu was auch immer) verarbeitet werden, legen sich die letzten (die das körperlich halt noch können) selbst aufs Band und werden ihrem vermutlichen Tode entgegen gefördert ...
Noch ein paar Schreie und ich darf endlich verstört aufwachen...

Wenn das keine bescheuerte Möglichkeit ist, den Tag zu beginnen: Massenmord und Massenselbstmord wegen eines Riesenbabys auf 'nem Feldweg... (wie krank muss man eigentlich sein)..."

Mittwoch, 28. März 2007

Was machen Sie denn da?! - Ich wohne hier!

In jenem Zellenblock des Studentenwohnheims, in dem ich einsässig bin, gibt es Putzfrauen. Das sind Wesen, die zweimal wöchentlich durch die Gänge flanieren. Gerüchten zufolge sollen sie dabei sogar ein wenig Boden- und (vornehmlich auf Toilettensitzen) Sanitärreiniger hinterlassen.
Zu dem folgenden sei gesagt: Wenn die Putzkolonne morgens ihre Runde macht, sind normalerweise die wenigsten Mieter in ihrer Wohnung (oder, falls doch, nicht in wachem Zustand). Daher ist es unüblich, vor dem Eintreten mittels Generalschlüssel anzuklopfen.

Eine aktuelle Begebenheit.

Das Szenario: Montag Morgen 9 Uhr 49, die Kolonne ist bei meiner Wohnung angekommen. Ich höre bereits, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wird und schaffe es aus irgendwelchen Gründen nicht mehr rechtzeitig, mich aus dem Bad in Richtung Wohnzimmer in Deckung zu bringen. Schon schwingt also die Flurtür auf und einer beleibten Mittfünfzigerin in rosa Kittelschürze steht ein einigermaßen verschlafener Celso im gestreiften Morgenmantel gegenüber.

Was nun folgt, erinnert an eine Szene aus dem Loriot-Film "Papa ante Portas", als Herr Lohse auf die Frage seiner verwirrten Gattin: "Heinrich! Was machst du denn hier?!" antwortet: "Ich wohne hier." Auch jene Frau, die mich gerade am Rande eines Herzstillstands anstarrt, hat einen Gesichtsausdruck, der diese oder eine grob sinnverwandte Frage förmlich greifbar durch den (ich hatte noch nicht gelüftet) lauwarmen Morgendunst wabern lässt. Welcher im übrigen nun, da die Tür zum Gang offen steht und ich beginne, mit Industrieputzmittel durchsetzte Frischluft an meinen kühlen Zehen zu spüren, recht zügig gen Außenwelt entweicht.

Nach einer zehnsekündigen Schrecksekunde (ich hatte es zwischenzeitlich geschafft, ein muffeliges "Morgen!" zu artikulieren) setzt sie an: "Also mit Ihnen hatte ich gerade nicht gerechnet...". Einen kurzen Blick um die Ecke, der prüfen soll, ob das Schild mit meinem Namen noch neben der Tür hängt, beschließe ich auf später zu verschieben.
Zwei gleich gekleidetet Damen - offenkundig Kolleginnen - gesellen sich hinzu und geben vor, im nahe meiner Tür geparkten Putzwagen zu kramen. Meine Zehen sind vor Kälte taub.

Dies nehme ich schließlich zum Anlass, nun doch das Wohnzimmer aufzusuchen. Die eingangs erwähnte Frau hat mittlerweile begonnen, ein Stück ausgefranster Viskose in beißend riechende Flüssigkeit zu tränken, wirkt aber weiterhin aufgewühlt. Die Kolleginnen bemühen sich, wegzuschauen. Ich schließe die Zwischentür.
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celso - 19. Jul, 04:52
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celso - 20. Apr, 23:54
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celso - 17. Apr, 14:49
Mein Schatz!
Ich liebe dich!! Ganz ganz sehr dolle!!!! *kuss*
celso - 24. Okt, 18:17

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