Politisch, korrekt.

Montag, 28. Januar 2008

Wahlkrampf.

Dies ist die Erfolgsgeschichte des Kommunalpolitikers Ronald Goch, der mit unnachgiebiger Verbissenheit die Wahl zum Ministerpräsidenten des 17. Deutschen Bundeslandes Neuwurzenland gewann. Möge sich ein (noch) Amtskollege von ihm ein Beispiel an der Entschlossenheit dieses Ausnahmepolitikers nehmen!


Herr R. Goch ist Politiker. Soweit hat seine Geschichte noch nichts besonderes. Denn innerhalb seines überwiegend aus ehemaligen Abgängern der Ralf-Zacherl-Gesamtschule Salzbach im Graudunst bestehenden Bekanntenkreises war es keineswegs unüblich, jene Profession zu ergreifen, vor allem in Ermangelung anderer Perspektiven. Zwar hatte sich Goch in der Vergangenheit mehrfach durch Schöffentätigkeiten beim Amtsgericht Krankfurt hervorgetan (vor allem sei hier seine Angewohnheit erwähnt, im Gegensatz zu den anderen Schöffen kurz vor der Verkündung des jeweiligen Urteils aufzuwachen und unter offensichtlicher Desorientierung nach einer bestimmten Sorte Tabakwaren zu verlangen), jedoch war diese Tätigkeit für ihn niemals mehr als eine reine Übergangslösung auf dem Weg zu den höheren Weihen des öffentlichen Dienstes. Die ihm jedoch wegen eines hartnäckigen Drangs zum Reden sowie eines ausgeprägten Schnarchproblems zeitlebens verwehrt blieben.

Unter dem Eindruck dieser frustrierenden beruflichen Laufbahn beschloss Ronald Goch also, in die Politik zu gehen. Sein guter Freund, ehemaliger Nachbar und seit geraumer Zeit ZDU-Abgeordneter des Kreises Lutz Klaff veranlasste, von entsprechenden Absichten in Kenntnis gesetzt, dann auch rasch alles Nötige für einen Parteibeitritt Gochs sowie einen Sitz in der Kreistagsfraktion. Wie bereits erwähnt, war diese Form der beruflichen Selbstverwirrung in Gochs Umfeld durchaus häufig vertreten; entsprechend viele alte Bekannte – Angehörige jeglicher politischer Ausrichtung – fand jener an seinem ersten Arbeitstag im Hackhaimer Sitzungssaal vor. Durch beständig gute Leistungen beim Skat (besonders in den Nachmittagssitzungen trotzte Goch den vorwiegend halb schlummernden Kollegen einen Stich nach dem anderen ab) sowie eine besonders schöne Kombination zweier angeborener Sprachfehler und der lauten, schlecht artikulierten Stimme wurde bald die Parteispitze der großen Neuwurzenländischen Volkspartei ZDU (Zentralistische Doppelkornunion) auf den jungen Wilden von der Basis aufmerksam. Viele seiner Biografen nennen später die legendäre Geflügelwurfrede, in der Goch vor annähernd halbgefüllten Rängen einige bis heute höchste umstrittene Äußerungen zur optimalen Ballistik tiefgefrorener Hähnchen in Hinblick auf den Etat für Fleisch- und Wurstwarenerzeugnisse tätigte, als bis dato wichtigsten Punkt seiner Karriere.

Der alternde Vorsitzende des ZDU-Kreisverbandes Tremmlich, seinerseits ein Vetter des Goch aufgrund zahlreicher steuerlicher Zuarbeiten in ungebrochener Hochachtung verbundenen Lutz Klaff, trat denn auch an diesen heran, als es um die Benennung eines Nachfolgers ging. Als Tremmlich schließlich wenige Wochen nach einem als wegweisend geltenden Gespräch mit Goch und einem plötzlichen Leberversagen zuerst aus dem Leben, wenig später aus dem Amt schied (die Neuwurzenländische Bürokratie arbeitete in diesem Fall ausnahmsweise verhältnismäßig schnell), war Gochs Stunde gekommen, der nun unter einstimmigem Fraktionsbeschluss die Führung übernahm.

Mit dem Vorsitz des ZDU-Kreisverbandes begann auch Gochs Interesse für echte tagespolitische Themen. Dem einmal angestachelten Ehrgeiz folgend, konnte der engagierte Politiker bereits im darauffolgenden Jahr ein Mandat zur Landtagswahl erringen. In seinem Wahlkreis Stain-Graudunst war Gochs Gesicht fortan so präsent wie Coca Cola an Weihnachten: Von Plakatwänden, Litfaßsäulen, auf der Kinoleinwand, an den Haltestellen beider Salzbacher Buslinien, der offiziell eingeweihten modernen Mosaik-Fassaden des historischen Hackhaimer Rathauses sowie – nach einer weniger offiziellen Verpflichtung jugendlicher „Aktionskünstler“ – im Antlitz eines vor selbigem über Nacht errichteten überlebensgroßen Standbildes aus Pappmaché prangte der grinsende Lokalpatriot vor dem blutergussfarbenen ZDU-Logo nebst Pappkameraden im Hintergrund.

Doch das reichte dem engagierten Wahlkämpfer Goch nicht, und so brachte er sich mit möglichst kontroversen Vorschlägen auf landespolitischer Ebene ins Gespräch: Mit dem geforderten Jugendstrafrecht für Säuglinge, das unter anderem die fäkalienbedingte Geruchsbelästigung in öffentlichen Bereichen unter (Haft-) Strafe stellt, sowie einem Vorschlag zur Novelle des Datenschutzgesetzes („Jeder Bürger ist selbst dafür verantwortliche, alle persönlichen Daten sowie Änderungen derselben umgehend seiner zuständigen Vorratsdatenspeicherungsstelle mitzuteilen. Versäumnisse werden gem. DSpG §§x bis y geahndet.“). Er übernahm den nach einem plötzlichen und irreversiblen Kurantritt seines Vorgängers vakant gewordenen Vorstandsvorsitz der Agrarport AG, größter landwirtschaftlicher Arbeitgeber der Region, und prügelte in Folge – Kraft einer nahezu Zweidrittelmehrheit der ZDU Fraktion – verschiedene Beschlüsse durch den Kreistag. Dazu zählten u. a. der Rückbau zweier Sozialwohnblöcke zugunsten klimatisierter Anbauflächen für moderne, genetisch optimierte Zuckerpalmen-Kulturen, der gesetzlich verordnete Mindestlohn für Arbeitnehmer in gehobenen Managementpositionen sowie die ersatzlose Auflösung des Rentenfonds für ehemalige Betriebsangehörige von Agrarport.

Es war Herrn G. also gelungen, als Spitzenkandidat seiner Partei zur Landtagswahl anzutreten (nicht zuletzt, weil seinem größten parteiinternen Konkurrenten aus dem Wahlkreis Kletterbau beim Verlassen seiner Wohnung überraschend eine Badewanne auf den Kopf fiel) und der Wahlsonntag rückte näher für die Neuwurzenländische Bevölkerung. Auf dem 359. Parteitag der deutschen ZDU in Klummsleben i. d. Rhön schließlich hielt er, ganz unter dem Eindruck der bevorstehenden Wahl, seine legendäre kämpferische Ansprache „Wollt ihr der Sozialen Sieg?“, die vor allem von offensichtlich bewegten Mitgliedern der Partei-Nachwuchsorganistation „Junge Bastion“ mit stürmischem Applaus, stehenden Ovationen und spontanen „Ronny, Ronny“ Sprechchören aufgenommen wurde. Der Weg zum Ministerpräsidenten von Neuwurzenland schien kurz und gerade, doch noch gab es einen wesentlichen Faktor, der Gochs sorgsam vorbereitete Strategie gefährdete: Die amtierende Ministerpräsidentin, die nebem einer schmalen Brille und einem brünetten Toupé den Namen Hedwig Asylanti trug und der SBD, der Sozialen Bestattungspartei Deutschlands, angehörte. Ihre Wahlkampfstrategie bestand weniger darin, die Vorzüge der eigenen Politik zu loben (vor allem, da es in dieser Hinsicht wenige Fakten aus der vergangenen Legislaturperiode gab, die die Unhaltbarkeit einer solchen Aussagen nicht auch noch unterstrichen hätten), sondern vielmehr darin, die Opposition in das aus Wählersicht denkbar unattraktive Licht einer schuldenabbauenden Sparpartei zu rücken. Dass dies, soweit es die echte Politik der ZDU betraf, frei erfunden und ohne jede reale Grundlage war, schien leider nicht den Erfolg der Strategie zu untergraben: Umfrageergebnissen zwei Wochen vor der Wahl zufolge hatte die SBD aus ihrer regierungsbedingten Flaute heraus auf mittlerweile gleiche Höhe mit der ZDU aufgeholt. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnete sich ab, und Goch verschärfte den Ton zusehends: Von „Spaßpartei ohne Konzept“ und „unseriösem Regierungsstil“ war die Rede, von „politischer Unterstützung sowohl ausländischer als auch minderjähriger Gewalttäter“, zuletzt sogar von einer angeblichen Edel-Prostitution seiner Konkurrentin Asylanti (eine Anschuldigung freilich, die jene mit einer als herablassendes Lächeln interpretierbaren Grimasse und dem Hinweis auf ihren doch recht ansehnlichen Kontostand sehr glaubhaft von sich weisen konnte).

Es lief nicht gut für Goch, so kurz vor der Wahl, und auch ebenso verzweifelte wie budgetfressende Wahlkampfaktionen wie „iPods für die Jubelmassen“ brachten keine Aussicht auf Besserung. Zuletzt war es wie so oft in der wechselvollen Geschichte seiner Partei Zufall oder auch „Schicksal“ (oder, wie er selbst später gern sagte, die schützende Hand eines wohlwollenden Gottes), die ihm zu einem knappen aber verdienten Sieg verhalfen. Der wohlwollende Gott nämlich war in diesem Fall der ehemalige SBD-Spitzenpolitiker und jetziges Vorstandsmitglied des Düngemittelkonzerns RWA (Riecht Wie Aceton) Waldemar Demenz und das „Schicksal“ eine Äußerung desselben, die er in einem Interview der renommierten Krankfurter Allgemeinen Zeitung fallen ließ. Dass der Satz „Ich kann den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes nur dringend raten, in Ihrer Entscheidung am kommenden Sonntag die wahrscheinliche Entwicklung ihrer Sozialleistungen zu berücksichtigen, besonders im Hinblick auf den von geplanten Ökoprojekten der Landesregierung herrührenden Schuldenabbau“ auf eine recht eindeutige Wahlempfehlung in Richtung der Opposition hinauslief, wollte zwar kaum jemand in der SBD-Spitze, dafür jedoch ein umso größerer Kreis sozial glückloser Wähler so verstanden haben (oder zumindest deutete die Interpretation der WILD-Zeitung mit der Titelschlagzeile „Jetzt meint auch W. Demenz: Wählt ZDU!“ entsprechendes an).

Nach einem haushohen Sieg der ZDU und der wenig überraschenden Wahl Gochs zum Ministerpräsidenten Neuwurzenlands versprach dieser dann auch, die noch offenen Fragen in puncto Atommüllentsorgung, Kindersterblichkeit, Internetkriminalität, illegales Glücksspiel, Waffenschieberei, militante Separatisten und das Raumfahrtembargo durch das Galaktische Kaiserreich von Zamundut schnell und unbürokratisch aus der Welt zu schaffen.
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